Irish Whiskey in der Krise? Nein!

Der irische Whiskey erlebte turbulente Monate. Monate, geprägt durch negative Berichterstattungen über Absatzflauten, Produktionsstopps und Insolvenzen. Zeit für einen genaueren Blick auf die Grüne Insel. In unserer dreiteiligen Reihe differenzieren wir zwischen den verschiedenen Herstellern und beleuchten ihre jeweilige Situation. Daraus ergibt sich ein diverses Bild einer Industrie zwischen Krise und Chance.

Teil 1: Irish Whiskey = Irish Distillers
Teil 2: Great Northern Distillery: Land in Sicht (erscheint am 23. Dezember)
Teil 3: Gezeiten des Revivals (erscheint am 30. Dezember)


Teil 1: Irish Whiskey = Irish Distillers

Für die Kapitäne der irischen Whiskeyindustrie sind die Wogen des Marktes Teil ihrer DNA. Kaum eine andere Whiskynation blickt auf eine derart wechselhafte Geschichte zurück. Vom Boom des 19. Jahrhunderts zur beinahe vollständigen Katastrophe des 20. Jahrhunderts und zurück zum Wiederaufstieg der letzten zwei Dekaden (1). Von der viktorianischen Weltmarktführerschaft zum Nachkriegsnischenprodukt und schließlich zum modernen Hype. Und wo steht der irische Whiskey heute? Glaubt man der Berichterstattung der zurückliegenden Monate, ist der Hype bereits wieder beendet und die nächste Katastrophe nur noch eine Frage der Zeit. Brennereien, groß wie klein, fahren die Produktion herunter oder stoppen sie gänzlich. Aufstrebende Sterne wie die Waterford Distillery gehen in Konkurs.

Die Gründe hierfür sind von Artikel zu Artikel ähnlich: gesunkene Nachfrage und volle Regale im Off-Trade (2). Dementsprechend verlassen weniger Fässer die gut gefüllten Lagerhäuser der Brennereien. Die Industrievertretung Irish Whiskey Association (IWA) ließ sich in einem Zeitungsartikel zitieren, dass als Reaktion 90 Prozent ihrer knapp 50 Mitgliedsunternehmen die Produktion heruntergefahren oder gestoppt haben. Wer kein finanzielles Polster hat, der gerät in Turbulenzen. Steckt Irlands Industrie also flächendeckend in der Krise oder steht gar kurz vor dem Aus? Eine ganz so pauschale Aussage lässt sich nicht treffen. Denn Irlands Hersteller sind vor allem eines: vielschichtig.

Irlands Whiskeyhersteller: Drei Kategorien von Produzenten

Grob lässt sich die Produzentenlandschaft in drei Kategorien unterteilen. Da ist die Gruppe der Platzhirsche mit etabliertem Markenportfolio. Angeführt von Irish Distillers (Pernod Ricard; unter anderem Jameson), zählen hierzu die Hersteller Bushmills (Proximo Spirits), Tullamore (W. Grant) und Cooley (Beam Suntory; unter anderem Kilbeggan). (3)

Die zweite Kategorie sind die privat geführten Branchenriesen Great Northern Distillery und West Cork Distillers (4). Bei beiden liegt der Fokus nicht auf dem eigenen Markenportfolio, sondern in der Auftragsproduktion für das Private und White Labelling. Hierunter fallen Hausmarken von Einzelhändlern sowie Marken unabhängiger Abfüller. Daneben beliefern sowohl Great Northern als auch West Cork Distillers die Hersteller von whiskeybasierten Likören und Ready-to-Drink-Produkten.

Zu guter Letzt bildet die Gruppe der klein- und mittelgroßen Brennereien die dritte Kategorie. Hierin tummelt sich die Mehrheit der Unternehmen. Während diese das höchste Maß an Heterogenität aufweisen, teilen sie alle vor allem eines: Schwimmend auf der wachsenden Nachfrage nach irischem Whiskey seit Beginn des neuen Jahrtausends, begannen sie alle erst in der letzten Dekade mit der Produktion.

Irish Whiskey = Irish Distillers

Um den irischen Whiskeymarkt zu verstehen, muss man zunächst die herausragende Bedeutung des US-amerikanischen Marktes sowie die dominierende Rolle der Marke Jameson einordnen. Den jüngsten Branchenzahlen nach gehen drei von zehn Flaschen Irish Whiskey in die USA. Hiervon tragen zwei das Jameson-Label. Mit dieser Marktmacht können selbst etablierte Namen wie Bushmills und Tullamore oder die großen Auftragsproduzenten West Cork und Great Northern Distillery nicht im Ansatz mithalten.

Obwohl also die Anzahl an Brennereien in Irland von drei zu Beginn des neuen Jahrtausends auf mittlerweile 57 anstieg und die Nachfrage zeitgleich rasant wuchs, konzentriert sich das Absatzvolumen weiterhin überdurchschnittlich auf einen Produzenten. Nicht umsonst ist die Midleton Distillery von Irish Distillers die mit Abstand größte Produktionsstätte auf der grünen Insel. Betrachtet man den irischen Whiskeymarkt als Gesamtes, steht und fällt das Bild mit dem Wohlergehen von Irish Distillers und ihrem Zugpferd Jameson.

Von Wachstum und Krise

In ihrem jüngsten Bericht, weisen Irish Distillers per 30. Juni 2025 ein jährliches, globales Wachstum von zwei Prozent aus. Darin legte das Wachstum von Jameson gar um drei Prozent zu. Verglichen mit früheren, teils zweistelligen Raten sieht das eher nach Stagnation aus. Eine akut existenzbedrohende Krise stellt sich anders dar. Doch Vorsicht ist beim Lesen der Zahlen geboten. Denn der Branchenriese wuchs weiter zweistellig in den aufstrebenden Märkten von Lateinamerika, Südostasien und im Süden Afrikas. Aber das globale Gesamtwachstum von nur zwei Prozent zeigt, dass wichtige Kernmärkte wie die USA schwächeln. 2023 sank das Gesamtvolumen an irischem Whiskey in den USA um acht Prozent, in 2024 um weitere drei Prozent. Jameson erlitt in 2023 gar einen Rückgang um neun Prozent. Für 2024 wies Irish Distillers keinen konkreten Wert aus. Stattdessen sprach man verallgemeinert von Herausforderungen. Aktuell kommt hinzu, dass dortige Großhändler angesichts der Drohkulisse aus Einfuhrzöllen frühzeitig in 2025 die Lagerbestände erhöhten. Das bedeutet für Irish Distillers: Neue Märkte und vorgezogene Umsätze in den USA aus der ersten Jahreshälfte tragen das jüngst verkündeten Gesamtwachstum. Dies lässt den Schluss zu, dass das wichtige Weihnachtsquartal für Irish Distillers in diesem Jahr dürftiger ausfallen könnte.

Im Hause Midleton scheint man sich dafür zu wappnen. Die in 2023 in Höhe von 250 Millionen Euros angekündigten Investitionen in Expansionen wurden in das Jahr 2027 verschoben. Abwarten, heißt die Devise. Und Kosten sparen. Statt neuer Investitionen verlängerten Irish Distillers im letzten April den jährlichen Produktionsstopp für Wartungsarbeiten von einem Monat auf drei Monate. Alarmierend ist dies zunächst nicht, eher gesunde Vorsicht. Denn nach Jahrzehnten starken und profitablen Wachstums, darf der Wind auch einmal stärker ins Gesicht pusten, ohne den Riesen direkt zum Schwanken zu bringen. Der nächste Jahresabschlussbericht im kommenden Sommer dürfte dennoch einer der spannendsten in der jüngeren Geschichte von Irish Distillers werden.

Doch nicht nur in Midleton beobachtet man die Entwicklungen genau. Auch die Great Northern Distillery mit ihrem Inhaber und Irish-Whiskey-Ikone John Teeling durchlebte zuletzt aufregende Zeiten. Mehr dazu im nächsten Teil dieser Mini-Serie.


Fußnoten

1) Siehe auch Artikel Golden Triangle in Ausgabe #53 (2021), Farming and Distilling in Ausgabe #52 (2021), Irish Variations in Ausgabe #51 (2021), Liquid Irish Gold in Ausgabe #50 (2020), Ireland's Distillery Boom in Ausgabe #26 (2015) und In Irland wird (um)gebaut in Ausgabe #18 (2013).

2) Off-Trade: Der Handel mit Waren, die an Verbraucher und Verbraucherinnen verkauft und mitgenommen werden, zum Beispiel im Getränkeeinzelhandel. Das "Off" bezieht sich auf "off the premises", zu Deutsch "außerhalb der eigenen Räumlichkeiten". Das Gegenteil ist der On-Trade (on the premises), also der Verkauf zum direkten Verbrauch an der Verkaufsstelle, beispielsweise in Restaurants und Bars.

3) Siehe auch Artikel Liquid Irish Gold in Ausgabe #50 (2020).

4) Siehe auch Artikel West Cork Whiskey, Vodka, Gin and Wine in Ausgabe #37 (2017).


Über den Autor

Neil Saad

Neil Saad stammt gebürtig aus dem Ruhrgebiet. Nach über einer Dekade des Reisens, zog er 2021 auf die Grüne Insel. In seiner neuen Heimat im Südwesten von Irland veranstaltet er professionelle Tasting-Events. Daneben ist er freiberuflicher Reise- und Whiskeyautor. Zudem präsentiert er als Co-Host des Podcasts Irish Whiskey News Deutschland monatlich die neuesten irischen Whiskeys und portraitiert Brennereien.